INFORMATIK FESTIVAL 2024

24.09. - 26.09.2024 Wiesbaden


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24.09. - 26.09.2024
Dauer: 3 Tage
Wiesbaden, Deutschland
Hochschule RheinMain Wiesbaden

INFORMATIK FESTIVAL 2024: Sieben Fragen zur digitalen Souveränität

Prof. Dr. Martin Gergeleit und Prof. Dr.-Ing. Ludger Martin sind die diesjährigen Tagungspräsidenten des INFORMATIK FESTIVALS 2024 in Wiesbaden, der Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik. Im Interview sprechen sie über die Bedeutung von digitaler Souveränität, notwendige Voraussetzungen für ihre Realisierung und die zukunftsweisende Gestaltung informatischer Systeme.

 

Das Motto der GI-Jahrestagung lautet dieses Jahr „Lock-in or log out? Wie digitale Souveränität gelingt“. Herr Gergeleit, was versteht man eigentlich in der Informatik unter dem Begriff „digitale Souveränität“?

Martin Gergeleit: In der Informatik beschreibt „digitale Souveränität“ die Fähigkeit einer Nation oder Organisation, ihre digitalen Angelegenheiten autonom zu kontrollieren, ohne von externen Einflüssen abhängig zu sein. Dies umfasst die Kontrolle über Daten, Infrastruktur, Technologie und den Zugang zu digitalen Ressourcen. Digitale Souveränität kann auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden: Für Deutschland und die EU bedeutet es, eigene digitale Infrastrukturen, zumindest für die Kernprozesse, entwickeln und betreiben zu können, ohne zwingend auf Technologien oder Dienstleistungen anderer Länder angewiesen zu sein. Dies schließt den Schutz sensibler Daten, die Gewährleistung digitaler Sicherheit und die Förderung wirtschaftlicher Unabhängigkeit ein. Organisationen, Unternehmen und Verwaltungen können digital souverän agieren, wenn sie ihre Prozesse effizient digitalisieren und die Kontrolle über ihre IT-Systeme und Daten haben, ohne von externen Anbietern oder Plattformen abhängig zu sein. Das erfordert oft die Entwicklung interner IT-Kapazitäten, die Nutzung von Open-Source-Software und die Vermeidung von Lock-in-Effekten durch proprietäre Technologien.

 

Und wie sieht digitale Souveränität auf individueller Ebene aus?

MG: Digital souveräne Nutzer*innen haben die Kontrolle über ihre persönlichen Daten und Online-Identitäten, ohne von großen Tech-Unternehmen oder Regierungsbehörden übermäßig überwacht oder kontrolliert zu werden.

 

Herr Martin, wie sollten informatische Systeme gestaltet sein, um die digitale Souveränität der Nutzer*innen zu gewährleisten?

Ludger Martin: Dafür sollten informatische Systeme bestimmten grundlegenden Gestaltungsprinzipien entsprechen: Datenschutz, Datensparsamkeit und Transparenz spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Systeme sollten die Privatsphäre der Nutzer*innen gemäß der DSGVO respektieren, indem sie nur die für ihre Funktion notwendigen Daten sammeln, diese gesichert speichern und transparent machen, welche Daten sie gespeichert haben. Interoperabilität und Offenheit sind ebenfalls von großer Bedeutung. Systeme sollten interoperabel sein und es Nutzer*innen ermöglichen, Daten und Inhalte zwischen verschiedenen Plattformen und Diensten zu übertragen und zu teilen. Offene Standards und APIs können die Interoperabilität fördern und Lock-in-Effekte vermeiden.

 

Wie wichtig ist in diesem Kontext die Sicherheit der Systeme?

LM: Das ist ein essenzieller Aspekt. Systeme sollten robuste Sicherheitsmechanismen implementieren, um die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von Daten zu gewährleisten. Dies umfasst Verschlüsselungstechnologien, sichere Authentifizierung und Autorisierung, sowie regelmäßige Sicherheitsaudits und Updates. Durch Dezentralisierung und Selbstbestimmung wird eine dezentrale Architektur gefördert, während Peer-to-Peer-Netzwerke die Abhängigkeit von zentralisierten Diensten reduzieren können. Nutzer*innen sollten darüber hinaus die Möglichkeit haben, ihre eigenen Daten lokal zu speichern und zu verwalten, anstatt sie an zentralisierte Plattformen auszulagern. Nicht zuletzt sind Partizipation und Mitbestimmung entscheidend, denn Nutzer*innen sollten in den Entwicklungsprozess von informatischen Systemen einbezogen werden und die Möglichkeit bekommen, Feedback zu geben und an Entscheidungen teilzunehmen, die ihre digitale Souveränität betreffen. Partizipative Designmethoden und Open-Source-Entwicklung können diese Mitbestimmung fördern.

 

Neben technologischen Lösungen erfordert digitale Souveränität auch bestimmte Fähigkeiten von Individuen, Unternehmen und staatlichen Institutionen. Welche Kompetenzen sind Ihrer Meinung nach notwendig, um digital souverän agieren zu können?

MG: Zunächst ist es entscheidend, dass die Politik und staatliche Institutionen über das Wissen und die Fähigkeiten verfügen, Entscheidungen zu treffen, die die digitale Souveränität des Landes stärken. Hierzu gehört die Entwicklung von Strategien zur Förderung der digitalen Wirtschaft, die Regulierung von Technologieunternehmen und die Sicherstellung der digitalen Cybersicherheit. Dies erfordert die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften mit fortgeschrittenen Kenntnissen in den Bereichen Cybersicherheit, Netzwerksicherheit, digitale Forensik und Incident Response. Um die Abhängigkeit von ausländischen Technologien zu verringern, sollte der Staat die Entwicklung und den Ausbau eigener digitaler Infrastrukturen fördern, was wiederum Expertise in Bereichen wie Hardware- und Softwareentwicklung, Cloud Computing, Datenmanagement, KI und IoT-Technologien voraussetzt. Außerdem ist es entscheidend, ein Verständnis der nationalen und internationalen Datenschutzgesetze sowie der Datenschutzpraktiken zu haben, um die Privatsphäre der Bürger*innen zu schützen und sicherzustellen, dass die Datennutzung im Einklang mit geltenden Gesetzen steht. Angesichts der grenzüberschreitenden Natur der meisten digitalen Herausforderungen ist es wichtig, in internationalen Foren über digitale Angelegenheiten zu verhandeln und zu entscheiden. Dies erfordert diplomatische Kompetenzen sowie ein umfassendes Verständnis der globalen digitalen Landschaft und der verschiedenen Interessen der beteiligten Parteien.

 

Wie schätzen Sie die Entwicklung der digitalen Souveränität in den nächsten zehn bis 30 Jahren ein?

LM: Nach Jahren nahezu grenzenloser Globalisierung, vor allem im Bereich der digitalen Güter und Dienstleistungen in den letzten zwei Jahrzehnten, haben mir die jüngsten Ereignisse schmerzhaft vor Augen geführt, dass Outsourcing – erst von Produktion, dann von Know-how – nur kurzfristige ökonomische Vorteile zu bringen scheint. Doch mittel- und langfristig führen die dadurch entstehenden Abhängigkeiten zu ökonomischer Erpressbarkeit, der Einschränkung unserer politischen und gesellschaftlichen Handlungsfreiheit und dem Verlust von Kompetenzen, um dem entgehen zu können. Andererseits ist die digitale Welt so komplex und vernetzt, dass wirkliche Autarkie für Deutschland kein Thema sein kann.

 

Was denken Sie, Herr Gergeleit, und was könnte in diesem Rahmen ein realistisches Ziel sein?

MG: Das Ziel muss sein, Kernkompetenzen im Land zu halten, um informierte Entscheidungen zu treffen und im Krisenfall die digitale Handlungsfähigkeit zu wahren. Dies erfordert Menschen und Unternehmen, die die Fähigkeiten und das Bewusstsein dafür haben, sowie diversifizierte internationale Abhängigkeiten, die es ermöglichen, dass externe Ereignisse uns nicht in „alternativlose“ Sachzwänge bringen. Ich denke, wir sind jetzt dabei, dieses Thema höher zu priorisieren, und hoffe, dass wir in weniger als zehn Jahren signifikante Fortschritte erzielen, denn die Zeit ist natürlich nicht auf unserer Seite. Über den Zustand in 30 Jahren sage ich lieber nichts – nicht auszudenken, wie ich mich blamiert hätte, wenn ich 1994 versucht hätte, die heutige Welt zu prognostizieren…

 

Interview: Christina Stertz

Save the date: Das Motto des Festivals wird in diesem Jahr für viele spannende Diskussionen sorgen.
 

Martin Gergeleit ist Professor für Telekommunikation und Rechnerarchitekturen an der Hochschule RheinMain und Tagungspräsident des INFORMATIK FESTIVALS 2024

 

Ludger Martin ist Leiter des Fachbereichs "Design Informatik Medien" an der Hochschule RheinMain und Tagungspräsident des INFORMATIK FESTIVALS 2024